Hilfe für „Wolfskinder“
Pressemitteilung vom 05.Januar 2005
Zwei Brüder finden wieder zusammen
Lichtenberg. Auf der Flucht vor der Roten Armee in Ostpreußen verloren gegangen, zogen sie in Rudeln durch die Wälder wie die Wölfe: deutsche Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren.
Litauische Bauern im Memelland gaben ihnen unter Lebensgefahr ein Dach über den Kopf und eine neue Identität. Man nannte sie „Wolfskinder“. Ihre Väter waren im Krieg zumeist gefallen, ihre Mütter auf der Flucht an Entkräftung gestorben oder beim Durchqueren der eiskalten Memel ertrunken. Noch heute leben ehemalige „Wolfskinder“ in Litauen.
Das studio im Hochhaus, Zingster Straße 25, zeigt im Juni 2003 eine bewegende Ausstellung zum Schicksal der „Wolfskinder“. „Da muss man doch was tun“, sagte sich Günther Töpfer, im Bezirksamt zuständig für Städtepartnerschaften. Ausgerüstet mit einigen Adressen, reiste er im September 2003 auf eigene Kosten in die Region Tauroggen – und wurde fündig: Er stieß auf einen Verein ehemaliger Wolfskinder und lernte 24 der 28 im Verein organisierten Betroffenen kennen.
„Das ist die größte Gruppe im Memelland, jenem etwa 40 Kilometer breiten Streifen entlang der Memel auf litauischer Seite“, sagt Töpfer. Die ehemaligen „Wolfskinder“ leben überwiegend in ärmlichen Verhältnissen, kaum noch des Deutschen mächtig. ohne besondere Schulbildung und deshalb ein Leben lang beruflich benachteiligt. Sie leben am Existenzminimum mit winzigen Renten zwischen 28 und 150 Euro. „Ich hörte mir die Sorgen der Menschen an“, erinnerte sich Töpfer, „und versprach zu helfen – vor allem bei der Aufklärung ihrer Identität.“
Sein Angebot wurde mit Skepsis aufgenommen. Doch das änderte sich schlagartig, als der Berliner im August 2003 erneut die ehemaligen Wolfskinder besuchte. Er hatte Geld gesammelt – 720 Euro zum Heizen. „Die Heizkosten sind fast unerschwinglich für Menschen, die kaum über ein eigenes Einkommen verfügen. Doch mit 30 Euro kommt man über den Winter“ sagte Töpfer. Das Eis war gebrochen. „Als ich das Geld auszahlte, konnten 3 Menschen den Empfang nicht quittieren – sie waren Analphabeten.“
Im März 2004 folgte Töpfers dritte Besuch, wiederum auf eigenen Kosten. Und wieder kam er nicht mit leeren Händen: Er hatte in aufwendigen Recherchen 23 von 28 Identitäten geklärt, 28 Anträge auf soziale Unterstützung gestellt und für 23 ehemaligen „Wolfskinder“ Anträge auf deutsche Staatsbürgerschaft gestellt. Doch sie wollten in ihrer selbst gewählten Heimat bleiben: „Was sollen wir in Deutschland, wo wir nicht gebraucht werden und auf Sozialhilfe angewiesen wären, so der allgemeine Tenor“, sagt Töpfer. Einer der „Wolfskinder“ ist Augustas Rudeminas alias Theodor Rieck, geboren am 24. Februar 1934. Er hat niemanden gesucht, denn Theo, wie ihn alle nennen, war davon überzeugt, dass seine Mutter und die neun Geschwister tot sind. Theo irrte. Günther Töpfer fand über den kirchlichen Suchdienst Theos Bruder Erich in der Nähe von Hannover.
„Der war zunächst misstrauisch, als ich ihn mit den Fakten konfrontierte. Bereits einmal hatte ein Scharlatan sich für seinen Bruder ausgegeben“, so Töpfer. Behutsam gelang es ihm, den Kontakt herzustellen. Ein Telefonat der beiden Brüder beseitigte jeden Zweifel. Nach fast 60 Jahren schlossen sich Theo und Erich in die Arme. Dabei erfuhr Theo, dass noch sechs weitere Geschwister überlebt hatten. Theo wird sie nun alle kennenlernen.